Am 16. März 2023 wurde in der Sitzung der Bürg*erinnenschaft dem Beschlussvorschlag der AfD „Gendern konsequent unterbinden“ mit Hilfe fast aller Stimmen der CDU/FDP und der BfS zugestimmt. Darin heißt es wörtlich: „Die Hansestadt Stralsund hat auf dem Anweisungswege zu gewährleisten, dass sich städtische Einrichtungen und Betriebe im Schriftlichen wie Mündlichen konsequent an die Vorgaben des Rates für deutsche Rechtschreibung halten, der Verfremdung der deutschen Sprache als Bestandteil der kulturellen Identität entgegenwirken und das Improvisieren mit sogenannter Gendersprache zu vermeiden haben. Des Weiteren ist per Verordnung sicherzustellen, dass die Maßgaben des Rates für deutsche Rechtschreibung den mündlichen wie schriftlichen Sprachgebrauch bestimmen, weil sie den Erfordernissen einer sprachlichen Widerspiegelung der Geschlechtergerechtigkeit hinlänglich entsprechen und gesamtgesellschaftlich akzeptiert sind.“
Allein der Titel des Antrages der AfD zeigt, welches Feindbild die Partei im Laufe der Jahre systematisch aufgebaut hat, das sich gegen lsbtiqa+ Personen und gegen eine geschlechtergerechte Sprache richtet. Diese rechtspopulistische und diskriminierende Rhetorik hat aber offenbar großen Anklang in den Fraktionen CDU/FDP und BfS gefunden.
Zabel, Vorsitzender der CDU/FDP Fraktion, meinte vor der Abstimmung: „Wir möchten darauf hinweisen, dass es bereits eine Dienstanweisung gibt für den Verwaltungsumgang…gleichwohl ist es uns auch ein wichtiges Thema, und vielleicht auch nochmal eine politische Aussage, insofern haben wir die Abstimmung hier in unserer Fraktion freigegeben zu der Thematik.“
(Anmerkung: Der „Verwaltungsumgang“ ist bisher ohne gendergerechte Sprache, da nichtbinäre Menschen nicht korrekt angeschrieben und in Sprache berücksichtigt werden.)
Ohne viel Aufhebens haben alle männlichen Mitglieder der CDU/FDP Fraktion dem Antrag zugestimmt. Die einzigen beiden Frauen der CDU haben Größe gezeigt und den Antrag abgelehnt – bei dieser innerparteilichen Männerdominanz ein starkes Zeichen. Dass die „Bürger für Stralsund“ schon länger keine klare Abgrenzung nach rechts aussen ziehen, ist inzwischen bekannt.
Wir leben im 21. Jahrhundert, und immer noch werden Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität, ihrer sexuellen Orientierung oder aufgrund anderer Merkmale ausgegrenzt und sind Gewalt ausgesetzt innerhalb einer Gesellschaft, die sich als demokratisch versteht. Dies ist erschreckend, andererseits auch nichts wirklich Neues. Zum einen, weil antidiskriminierende, feministische Bestrebungen und Anliegen von lsbtiqa+ Personen immer schon der Unterdrückung ausgesetzt waren und sind. Überraschend ist allerdings, wie offensichtlich und normalisierend dies inzwischen formuliert wird. Und in welcher Einigkeit die männlichen Vertreter von CDU/FDP zusammen mit einer rechtsradikalen Partei auftreten, wenn es um Gleichberechtigung geht, und mit welcher Selbstverständlichkeit dieser unsägliche Beschluss durchgewinkt wurde.
Dabei dient „der Erhalt der deutschen Sprache“ nur als Vorwand. Sprache wird hier als in Beton gegossen betrachtet, und nicht als lebendige und dynamische Kommunikationsform, die es Menschen möglich macht, sich auszudrücken, verstanden und gesehen zu werden.
Unterstriche und Gendergap sind Möglichkeiten, Frauen und nichtbinäre trans* und inter* Personen – also mehr als die Hälfte aller Menschen – sprachlich einzubeziehen. Sprache prägt bekanntlich das Denken! Die Aussprache oder Schreibweise, die von Skeptik*erinnen so oft als „zu kompliziert“ bezeichnet wird, ist nur eine Frage der Gewohnheit. Sprache bleibt lebendig und aktuell, ist Ausdruck von Vielfalt einer Gesellschaft, wenn sie sich verändern darf.
Ob Menschen gewillt sind, sich und andere durch Sprache miteinzubeziehen, oder es bevorzugen, beim Alten zu bleiben, ist eine persönliche, wenngleich nicht unerhebliche Entscheidung, wenn es um den respektvollen Umgang im Miteinander geht.
Auf politischer Ebene durch solche Beschlüsse aktiv auszugrenzen bedeutet allerdings, unter dem Deckmantel der Demokratie antidemokratischen Prozessen bewußt zuzustimmen und einen größeren Teil der Gesellschaft unsichtbar zu machen und von Macht und Mitbestimmung auszuschließen. Argumente von cis Männern, sie würden diskriminiert, wenn gendergerechte Sprache benutzt wird, ist eine Verdrehung der Diskriminierungs- und eigentlichen Machtverhältnisse.
Diese Umkehrungsstrategie ist auch der rechtspopulistischen und rechtsradikalen AfD bekannt, wird aber leider immer wieder unterschätzt in ihrer Wirkung. Die AfD verwendet die Verdrehung der eigentlichen Tatsachen als Machtmittel und Verwirrungspraxis, als Machtmanipulation. Und zur eigenen Bestätigung und Aufrechterhaltung ihrer Privilegien. Nach unten treten, lächerlich machen, diffamieren, polarisieren und vermeintliche Gefahren heraufbeschwören ist alltägliche Praxis, um ihre rückwärtsgewandten, gefährlichen und demokratiefeindlichen Interessen durchzusetzen.
Gibt es von Parteien, die sich als demokratisch verstehen, keine klare Abgrenzung mehr zu solchen Praktiken, sind Backlashes im großen Stil eine ernsthafte Gefährdung von demokratischen, antidiskriminierenden Prozessen und der Menschenrechte von lsbtiqa+ Personen und anderen marginalisierten Gruppen.
Wenn das die politische Aussage der männlichen Mitglieder der CDU/FDP-Fraktion in der Bürg*erinnenschaft von Stralsund sein soll, wird Gleichberechtigung als Menschenrecht mit Füssen getreten.
Unterdrückung und Diskriminierung sind niemals hinnehmbar!